Auf der Tokyo Game Show

Benjamin Greenberg

Mit einem weltweiten Umsatz von 64 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014 und einem prognostizierten Zuwachs auf bis zu 100 Milliarden bis 2018, kann bei der Videospielbranche schon lange nicht mehr von einem Nischenmarkt gesprochen werden. Eine Tatsache, die zusehends mehr globale Schwergewichte auf den Markt drängen lässt. Neben den „klassischen“ Playern wie Sony, Nintendo und Microsoft sind es nun verstärkt auch Webgiganten wie Google, Facebook und Co, die ihren Anteil einfordern und sich anschicken die Zukunft der Branche mitzugestalten.
Um uns selbst einen Überblick über die kommenden Trends und Entwicklungen zu verschaffen, haben wir uns vom 17.-20. September auf einer der weltweit führenden Fachmessen, der Tokyo Game Show, umgesehen.

Neue Realitäten schaffen

Neuerscheinungen für altbekannte Spieleplattformen, wie PC, Sony Playstation oder Microsoft Xbox, machten auch dieses Jahr wieder den Großteil der Vorgestellten Produkte aus. In diesem Segment lässt sich allerdings aktuell kaum eine größere Weiterentwicklung feststellen. Zwar warten die Titel mit stets brillanterer Grafik oder als bahnbrechend gepriesenen Spielmechaniken auf, können aber dennoch nicht den Mangel an technischen Innovationen verdecken. Die meisten Spiele, die wir ausprobiert haben, fühlten sich nach nicht sehr viel mehr an, als Remakes oder Rebrandings bereits existenter Konzepte, die teilweise nur mehr eingefleischte Fans begeistern können.

Kein Wunder also, dass gerade die Aussteller zu Publikumsmagneten avancierten, die radikal andere Ansätzen bieten. Vor allem Virtual Reality Lösungen sind dabei zu erwähnen. Schon die futuristische Optik der VR-Gräte duftet nach Fortschritt und gibt einem glatt das Gefühl, in ein Science Fiction Setting a la Blade Runner versetzt zu werden.

Zu testen waren Geräte und Anwendungen zweier führender VR-Hersteller. Sony stellte seine VR-Brille vor, die Mitte 2016 als Zubehör für die Playstation 4 erscheinen soll. Das Gerät, ist mit einer Auflösung von 1920 x 1080 Pixeln seinem Konkurrenten von Oculus (1080 x 1200) grafisch deutlich überlegen. Allerdings schlägt sich dies auch in einem höheren Gewicht der Brille nieder, was gerade bei bewegungsintensiven Spielen heikel werden kann. Die Steuerung in Sonys virtueller Realität erfolgt mittels Playstation-Controller oder Move-Controller und war recht eingängig und damit schnell erlernbar.

Softwareseitig gab es einige Demoversionen aus komplett unterschiedlichen Genres zum Anspielen. Leider waren die Demos recht linear und ließen dem Spieler kaum Freiheiten die neue Welt zu erkunden. Wodurch zwar die Illusion, in eine andere Realität einzutauchen, aufgrund der hochauflösenden Grafik und der flüssigen Bewegungssteuerung, recht glaubhaft war, sich diese Realität jedoch eher wie ein fader Museumsbesuch und nicht wie ein wirkliches Abenteuer anfühlte. Mit den richtigen Spieltiteln und einer gewissenhaften Adaption an die Möglichkeiten der virtuellen Realität, hat die Sony VR durchaus Potential.

Über Innovationsmangel und gelungene praktische Umsetzungen kann man beim Mitbewerber Oculus und seiner Oculus Rift Brille nicht klagen. Bis zur Übernahme durch Facebook vergangenes Jahr, war die hinter dem Gerät laufende Software noch als Open Source erhältlich, was zu einer wahren Flut an Anwendungen und Spielen führte. Durch den Ausverkauf an Facebook hat dieser kreative Prozess ein jähes Ende gefunden. Die bis dahin erschiene Software bildet jedoch einen schier endlosen Schatz auf den die neuen Herrn im Hause Oculus zurückgreifen können und der ihnen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft. Dies ließ sich bei den vorgestellten Spielen gut nachvollziehen. Trotz der technischen Unterlegenheit fühlten sich alle getesteten Demos deutlich packender an und vermittelten diesen Sog eine andere Welt, den man sich von einer virtuellen Realität erwarten um einiges glaubhafter. Neben dem vorwiegend auf Videospiele ausgelegten Oculus Rift wurde auch das Gear VR vorgestellt.

Bei diesem VR Gerät handelt es sich um eine Koproduktion mit Samsung und Ricoh. Die Brille ist als Trägermedium konzipiert, in das ein Samsung Galaxy S6 eingelegt werden kann, und das damit zu einem VR Wiedergabegerät mutiert.
Mit dem Theta liefert Ricoh die dazugehörige Kamera, die mit einem Klick 360° Fotos und Videos aufnimmt, in denen der Gear VR Nutzer sich dann per Kopfdrehung frei umsehen kann. 360° Videos, etwa von Konzerten oder Sportveranstaltungen, sind bereits auf Youtube und NicoNico Douga, dem japanische Youtube-Pendant verfügbar.

Ich mach Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können

Die Einbindung von Smartphones in die neue, virtuelle Realität ist ein nur allzu logischer Schritt, angesichts ihrer Omnipräsenz in unserer Alltagsrealität. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass der Mobile-Gaming Markt zu einem Zugpferd der Branche geworden ist. Gehört der Anblick am Smartphone zockender Pendler in japanischen Zügen schon seit Jahren zum Alltag, war es in unseren Breiten wohl das Phänomen Candy Crush, das mobile Gaming einer breiten Masse näher brachte.
Nie war Gaming mehr casual als heute: Diskretes Spielen zwischendurch, auf dem eigenen Handy und das meistens auch noch gratis – Wer könnte da Nein sagen? Mit diesen Argumenten haben die Anbieter die Schranken der klassischen Gamerszene überwunden. Für Anbieter sind mobile Games in vielerlei Hinsicht eine wahre Goldgrube. Die meisten Spiele folgen immer gleichen repetitiven Mustern, um dem Kriterium der leichten Kost für die schnell Runde zwischendurch zu genügen. In der Produktion sind solche Puzzle-Spiele, primitive Renn- oder Aufbaustrategiespiele, sehr kostengünstig. Man nehme ein bereits existierendes, vergleichbares Produkt, verpasse ihm einen neuen Anstrich e voila, fertig ist der Spiele-App-Hit. Die Kosten sind durch Werbeplatzierungen und das Sammeln und Vertreiben von Nutzerdaten schnell gedeckt.

Dass sich das Geschäft mit den mobile Games zu lohnen scheint, wurde auf der Game Show schnell offensichtlich. Die Messestände der Entwicklerstudios aus diesem Gamingsegment übertrafen nicht selten die Pavillons etablierter Namen wie Square Enix oder Electronic Arts. Sogar Google mischt im mobile Gamingmarkt mit eigenen Produktionen mit, die in einem eigenen Messestand präsentiert wurden.

Begrenzt Frei

Das Gaming-Argument „Gratis“ ist allerdings nicht nur auf mobile Spiele beschränkt . Auch auf Konsolen und PCs steigt die Zahl von Free-to-Play Angeboten und verdrängt, wenngleich noch sehr langsam, die traditionelle Pay-to-Own Sparte. Beim Free-to-Play erwirbt der Spieler kostenlos das Grundgerüst eines Spieles und kann direkt loslegen. Allerdings sind in der Regel alle über dieses Grundgerüst hinausgehende Features nur durch einen Zahlung freizuschalten. Solche Barrieren sind meistens strategisch klug an Knackpunkten in den Spielen angebracht, an denen der Spieler bereits tief genug eingestiegen ist. An solchen Stellen ist es sehr wahrscheinlich, dass beim Spieler die Bereitschaft besteht die Features durch einen Kauf zu freizuschalten. Gerade bei Titeln mit kompetitivem Charakter können solche In-Game-Käufe spielentscheidend sein, weshalb die Gamerszene hier gerne verächtlich von „Pay-to-Win“ spricht.
Das Konzept scheint trotz dieser Ablehnung aufzugehen. Die Möglichkeit einen Titel zunächst kostenlos anspielen zu können, scheint für viele Gamer verlockender zu sein, als sich für 50-70€ eine komplettes Spiel anzuschaffen, mit dem Risiko, dass es hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Auf der Game Show konnte man sich überzeugen, dass die kommenden Free-to-Play Games sich durchaus sehen lassen können. Der neue Schiffkampf-Simulator World of Warships von Wargaming.net bietet eine Grafik und ein Gameplay, die es leicht mit vergleichbaren Pay-to-Own Titeln aufnehmen können.
Wollen die etablierten Entwicklerstudios nicht hinter diesem Trend zurückbleiben, wird ein Umdenken in ihrer Marketing- und Vertriebsstrategie nötig sein.